Der große Plan

Ich bin in meinem Leben vielen Menschen begegnet, die offenbar genau wussten, wie ihr zukünftiges Leben verlaufen sollte. Früher fühlte ich mich angesichts dieser Klarheit und Entschiedenheit oft klein und unzulänglich. Inzwischen habe ich aber gelernt, dass es gar nicht auf den großen Plan ankommt.

Als Jugendliche hatte ich nur einige Eckpunkte klar vor Augen: Ich wollte heiraten, ein eigenes Haus haben und Mutter werden. Es gab aber keinen Zeitplan und ebensowenig hatte ich eine Vorstellung, wie es zu diesen Dingen kommen sollte. „Du musst dir doch mal Gedanken über deine Zukunft machen“ oder „Was willst du mal werden?“ Waren Sätze, die mir allenthalben begegneten. Eine zeitlang wollte ich gerne Lehrerin werden, verwarf die Idee aber, als von der „Lehrerschwemme“ die Rede war. Dann sollte es die Goldschmiedin werden. Ich schrieb ein paar völlig unprofessionelle Bewerbungen ohne Zeugnis und Lebenslauf und bekam natürlich so keine Lehrstelle, also verwarf ich auch das wieder. Busfahrerin fand ich auch sehr reizvoll, denn zu der Zeit damals gab es in meiner Erfahrungswelt keine einzige Frau in diesem Beruf und ich wollte was Cooles machen, was sonst keine Frau macht. Daher wohl auch mein Wunsch, Schlosserin zu werden. Mein Vater ist Schmied und hat bis zu seiner Rente als Schlosser gearbeitet und ich wollte Leute beeindrucken als Frau in einer absoluten Männerdomäne. Das ist letztendlich daran gescheitert, dass ich Abi gemacht habe und irgenwie dachte, ich müsste unbedingt etwas machen, was dieser schulischen Ausbildung entsprach. Ich erfuhr von dem Beruf der Fremdsprachenassistentin und fand ihn unglaublich aufregend. Ich stellte mir bereits vor, wie ich in Brüssel im Europaparlament arbeiten würde. Das scheiterte dann daran, dass mir die zweite Fremdsprache fehlte, denn ich hatte mich in der 7. Klasse für Latein anstatt für Französisch entschieden. Der Berufsberater jubelte mir dann die Industriekauffrau unter und so bin ich das halt geworden.

Ich habe damals keine großen Anstrengungen unternommen, um eines der Ziele zu erreichen. Es waren offensichtlich nicht die Richtigen. Auch das Jurastudium (ich wollte so gerne Richterin werden!) fand nicht statt, denn dazu hätte ich in eine andere Stadt ziehen müssen, was mir damals völlig unvorstellbar erschien. Mit 24 hatte ich einen Freund, der seinen Wehrdienst leisten musste, und nach einem Besuch in der Kaserne wollte ich Offizierin werden! Ich fand es cool, vor einer Horde Soldaten zu stehen und ihnen Befehle geben zu können. Damals waren Frauen bei der Bundeswehr allerdings noch nicht zugelassen, außer im Musikkorps und bei den Sanis.

Insgesamt hüpfte ich also von einer Idee zur anderen, hatte aber nie den Kopf in den Wolken und ging meinem Beruf nach. 1992 begann ich meine Ausbildung zur Industriekauffrau und bin seither, nur unterbrochen durch 2 Jahre Erziehungszeit, durchgängig in Bürojobs tätig. Außerdem habe ich mich mal eine zeitlang als selbstständige Schreibkraft – nebenberuflich – betätigt. Und 2017 habe ich meine Yogalehrerinnenausbildung begonnen, die ich 2019 abschloss und im letzten Jahr habe ich mein eigenes Yogastudio eröffnet.

Für keines dieser Projekte habe ich vorher einen Plan gemacht. Ich habe es einfach gemacht. Ich wollte es und habe es gemacht. Ich habe geheiratet, habe mich scheiden lassen, habe ein Kind bekommen, dann den Vater des Kindes verlassen, mit meinem neuen Lebenspartner ein Haus gebaut, ihn geheiratet und mich auch von ihm wieder scheiden lassen.

All diese Unentschiedenheiten und Nichtplanungen, dieses Sich-treiben-lassen im Strom des Lebens haben mich letztendlich dorthin gebracht, wo ich heute bin. Ich lebe mit meinem 21jährigen Sohn in meinem eigenen Haus und bin sehr zufrieden damit. Der große Plan? Wer braucht sowas? Wer sich zu sehr festlegt, wird Schwierigkeiten und Widrigkeiten nur schwer meistern.

Für mich war immer nur wichtig, dass ich meinen Lebensunterhalt bestreiten und mein Leben genießen, mit meinem Leben etwas anfangen kann. Inzwischen genieße ich den Luxus, einen Teil meines Lebensunterhaltes mit meiner Leidenschaft, dem Yoga, verdienen zu können, so dass ich meine Arbeitszeit im Büro auf 30 Wochenstunden reduzieren konnte. Und das war nie so geplant…

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